Wie lassen sich knapp 30 Jahre in Kisten verstauen? Erstaunlich gut – dieser Eindruck mag sich einschleichen, wenn man sich in diesen letzten Tagen im Büro des Verwaltungsstellenleiters im ersten Stock des Managementzentrums in Oberelsbach umschaut. Übrig sind zuletzt noch einige Stapel Zeitungen. In dem vollen, aber sauber sortierten Bücher- und Aktenschrank stehen Rhöner Spirituosen. Geschenke. Für nach dem Dienst. Die Wände zieren letzte Erinnerungsstücke. Morgen holt er den Rest ab – kein großer Akt, sagt Michael Geier. Die eigentliche Arbeit aber verbirgt sich an anderer Stelle: im Archiv, das erst seit Anfang der 2000er Jahre digital vorliegt. Wochen-, wenn nicht monatelang hat er die Prozesse der vergangenen Jahrzehnte geordnet und aussortiert, letzte Anmerkungen für seine Kolleginnen und Kollegen notiert, Übergabegespräche geführt. Übrig bleiben Tausende Dateien – und zahlreiche Baustellen für die Zukunft der Biosphäre, an denen Geiers Stellvertreterin Dr. Doris Pokorny und ihr Team weiterarbeiten werden. Nach fast 30 Jahren – Geier war seit Einrichtung der Bayerischen Biosphärenreservatverwaltung im Jahr 1993 deren Leiter – wird das eine Herausforderung. „Es wird anders“, fasst er es kurz, aber treffend zusammen.
Anders ist auch die Rhön, die der 26-jährige Michael Geier zum ersten Mal im Jahr 1985 besucht – anders als seine Heimat, der Landkreis Deggendorf in Niederbayern. Empfangen wird er, wie sollte es in der Hochrhön im Mai auch anders sein, von heftigen Schneeschauern. An ein Biosphärenreservat ist damals, einige Jahre vor dem Nationalpark-Programm der DDR und der Wiedervereinigung, noch nicht zu denken. Michael Geier, der nach seinem Abitur im Jahr 1978 Landespflege studiert hatte, arbeitete bis 1989 in einem Landschaftsplanungsbüro in Nürnberg. Das Büro bekam unter anderem auch den Auftrag für die Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans (PEPL) für die Lange Rhön auf den Tisch – Geiers erster Berührungspunkt mit der Rhön. Auch nachdem er anschließend in den Staatsdienst gewechselt war, blieb die Rhön sein Aufgabengebiet. Die Auflage des EU-Strukturfonds brachte neue Fördermöglichkeiten im Bereich Naturschutz mit sich. Im Bayerischen Umweltministerium war Geier aufgefordert, „zu überlegen, was man damit in der Rhön anstellen könnte.“
UNESCO-Titel als Eintrittskarte
1991 kam das LEADER-Programm hinzu, „das wurde meine Wochenendlektüre.“ Zu den ersten vier Fördergebieten zählte auch das erst seit wenigen Wochen anerkannte Biosphärenreservat. „Der UNESCO-Titel war für die Rhön die LEADER-Eintrittskarte“, betont Michael Geier. „Die Rhön hatte damit einen Vorsprung vor anderen Regionen, den die Rhöner nie wieder hergegeben haben. Da bin ich ziemlich stolz darauf!“ Eines der ersten Ergebnisse war, verbunden mit der Ausweisung des Naturschutzgebiets Schwarze Berge im Jahr 1992, der Bau des Infozentrums Haus der Schwarzen Berge – damals noch in einem alten Schulgebäude neben dem Friedhof in Oberbach. Später schrieb Michael Geier das Regionale Entwicklungskonzept für die zweite LEADER-Auflage. Die Förderperiode brachte unter anderem die Möglichkeit für die Landkreise mit sich, RegionalmanagerInnen einzustellen. „Als die Förderung auslief, haben die Landkreise entschieden, weiterzumachen. Die Rhöner haben es nicht versiebt“, bilanziert Michael Geier heute.
Parallel liefen Anfang der 90er im Umweltministerium die Vorbereitungen zur Einrichtung einer Verwaltungsstelle für das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön auf bayerischer Seite. Karl-Friedrich Abe, Geiers späterer Kollege, hatte bereits 1990 mit der Bildung eines Aufbaustabs im Thüringer Teil des Biosphärenreservats begonnen. 1992 fiel die Entscheidung zur Einrichtung der Verwaltungsstelle in Oberelsbach – am 10. Mai 1993 nahm Michael Geier als deren erster Leiter seinen „Biosphären-Dienst“ bei der Regierung von Unterfranken auf. Auch seine heutige Stellvertreterin Dr. Doris Pokorny war damals schon mit im Boot. Im selben Jahr zog Geier nach Hohenroth – und aus dem „Niederbayer mit Migrationshintergrund“, wie er sagt, wurde ein Rhöner durch und durch.
„Der Erfolg hat viele Väter: Er ist einer davon“, titelte die „Mainpost“ im Mai 2022 zum Abschied. Mit Michael Geier über Erfolg zu sprechen, bedeutet vor allem, auf die Prozesse zurückzublicken, die nicht immer bequem waren. Auf das Mühsame, das Konfliktreiche – das Langwierige. 878 Überstunden standen Ende 2017 auf seinem Zettel – wohl die intensivste Zeit seines Berufslebens. An die Fertigstellung des ersten UNESCO-Evaluierungsberichts folgte direkt der Antrag auf Erweiterung des Biosphärenreservats auf bayerischer Seite, dem 2014 stattgegeben wurde. „Damals bin ich acht Wochen lang nur zum Schlafen heimgefahren“, erinnert er sich. Auch eine bleibende Erinnerung: Ein Brand im benachbarten Haus der Langen Rhön an Aschermittwoch 2013. „Wir saßen am Erweiterungsantrag und hatten nebenbei noch eine Brandstelle an der Backe.“
Es sollten noch einige „Schwelbrände“ für die und in der Entwicklung des Biosphärenreservats folgen, die es zu löschen – oder auch zu verhindern – galt. Meilensteine aufzuzählen, die hierbei am wichtigsten waren, dafür reiche die Zeit nicht, sagt Geier. Persönliche Herzensprojekte aus dem aktuellen Rahmenkonzept fallen ihm aber schnell ein: Die Einrichtung des Naturerlebniszentrums Rhön, das Projekt „GreenCare – Natur und psychische Gesundheit“ und die Etablierung von Biosphären-Schulen und Biosphären-Kitas. Wer ihn kennt, weiß außerdem, dass er auf die Frage, was er sich für die Zukunft der Rhön wünscht, immer auch diese Antwort geben wird: Dass die letzte Lupine vernichtet und die invasive Pflanze aus der Region verbannt ist. Und auch den Ostheimer Wurstmarkt wird man für immer mit ihm verbinden. „Schon bei meinen ersten Besuchen in der Rhön war ich von den regionalen Wurstwaren und deren Qualität fasziniert“, erinnert er sich. Ob es den Wurstmarkt auch in 30 Jahren noch geben wird? „Um das Metzger-Handwerk in der Region sieht es schlecht aus. Der Personal- und Nachfolgemangel ist groß. Ein Rhöner Wurstmarkt funktioniert aber nur mit Rhöner Metzgern – ich täte es mir wünschen!“ Ein weiterer Wunsch für die Zukunft der Rhön: „Dass das Biosphärenreservat in der Breite der Bevölkerung als absolut lebenswerter Lebensraum wahrgenommen wird. Als Heimat.“
Umweltbildung bleibt persönlicher Auftrag
Nach dem Resturlaub endet Michael Geiers „Biosphären-Dienst“ zum 26. August; zum 1. September soll die Stelle neu besetzt werden. Gänzlich „verlieren“ wird die Biosphäre Michael Geier aber vielleicht nicht. Die (Weiter-)Entwicklung von Biosphären-Schulen und -Kitas liegt ihm am Herzen, hier möchte er künftig die Umweltbildungsteams unterstützen. Die nächsten Generationen für den Nachhaltigkeitsgedanken und somit für die Aufgabe und das Ziel der Biosphäre zu sensibilisieren und zu begeistern, ist die Grundlage allen Tuns im Biosphärenreservat, sagt er. „Mal schauen, ob ich da noch etwas ausrichten kann.“ Und auch sonst wird sich der künftige Rentier zu beschäftigen wissen. Seine „eingerosteten“ Botanik-Kenntnisse – Geier war 20 Jahre lang im Vorstand der Bayerischen Botanischen Gesellschaft – will er auffrischen. Und da ist auch noch eine andere Leidenschaft: Seit über 30 Jahren tanzt er – nicht nur – Polka.
Danke!
Die Verwaltungen des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön in Bayern, Hessen und Thüringen, der Verein Biosphärenreservat & Naturpark Bayerische Rhön (NBR) e. V. und der Verein Natur-und Lebensraum Rhön (VNLR) e. V. bedanken sich – stellvertretend für die zahlreichen Partner des Biosphärenreservats – bei Michael Geier für seine großen Verdienste um das Biosphärenreservat und wünschen ihm einen erholsamen und erfüllten Ruhestand!