Bei der Agroforstwirtschaft geht es darum, mit zusätzlichen Gehölzstreifen für mehr Windruhe und Beschattung und damit mehr Wasser auf Feldern und Wiesen zu sorgen und den Boden bei Starkregenereignissen festzuhalten. Durch die Strukturierung der Landschaft wird gleichzeitig die Biodiversität erhöht und Lebensraum für Insekten geschaffen. Dazu gibt es in der Rhön bisher kaum praktische Erfahrungen. Deswegen haben das Amt für Ernährung Landwirtschaft und Forsten (AELF) Bad Neustadt a. d. Saale, die bayerische Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats Rhön, das BROMMI-Projekt des WWF und die Öko-Modellregion Rhön-Grabfeld gemeinsam Landwirtinnen und Landwirte auf eine Exkursion zu Betrieben in Hessen, Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt eingeladen, die bereits Agroforstwirtschaft auf ihren Flächen betreiben.
Das Interesse an dem Thema ist groß. Und so sind alle Plätze besetzt als sich 30 Landwirtinnen, Landwirte und in der Beratung Tätige auf den Weg nach Norden machen. Kaum im Bus gibt es die ersten Informationen vom Agroforst- und Keyline-Experten Philipp Gerhardt des Planungsbüros „Baumfeldwirtschaft“. Er erklärt die Effekte von Baumreihen in der Agrarlandschaft - in erster Linie Reduktion der Windgeschwindigkeit, Kühlung, mehr Wolkenbildung sowie weniger Verdunstung und geringere Erwärmung der Kulturen.
Mit "Keyline" Wasser in der Landschaft halten
Wenn Agroforstsysteme im sogenannten „Keyline“ angelegt werden, kann zusätzlich der Oberflächenabfluss aus Feldern und Wiesen stark reduziert und die Versickerung an Ort und Stelle erhöht werden. Hierbei wird durch gezielt angelegte kleine Gräben mit Baumreihen das Wasser in trockenere Bereiche der Flächen gelenkt und zurückgehalten, was bei zunehmenden Starkregenereignissen immer wichtiger werde. Außerdem weist Gerhardt auf Untersuchungen hin, die zeigen, dass die Grundwasserneubildung in Flächen mit lockeren Gehölzen noch höher ist als auf der baumlosen Ackerfläche, da die Wurzeln der Bäume das Wasser in tiefere Bodenschichten leiten und weniger Wasser oberflächlich abfließe. Das gezielte Einbringen von Gehölzen in die ausgeräumten Agrarlandschaften hätte das Potenzial, die Temperatur um 1 °C auf Landschaftsebene zu senken.
Schutz bei Starkregen und Versteck vor Beutegreifern
Der erste Praxisbetrieb auf dem die Exkursionsteilnehmer haltmachen, ist der Bioland-Hof Werragut bei Eschwege. Dort stellt Janos Wack vom Planungsbüro „Triebwerk“ Baumreihen mit integrierter Tröpfchenbewässerung für die ersten Jahre nach der Pflanzung vor. 15 verschiedene Baum- und Gehölzarten mit 90 verschiedenen Sorten wurden gepflanzt. Die Anlage ist ein Gemeinschaftswerk und Demonstrationsbetrieb von vielen Helfern und Unterstützern des Bioland-Hofs. Einige Baumarten haben sich nicht etabliert, da die Qualität der gepflanzten Bäume nicht gut war. Dass es wichtig ist, auf die Qualität des Pflanzguts zu achten, zieht wie ein roter Faden durch alle Betriebe und kann als ein Resümee festgehalten werden.
Der nächste Stopp ist ein großer Legehennen-Betrieb bei Bad Sooden-Allendorf mit einem Auslauf der sternförmig mit Pappeln bepflanzt ist. Die Hühner genießen den Schutz durch die Pappeln vor Greifvögeln und die Bäume beeindrucken durch ihre Größe im sechsten Standjahr. Auf dem Rittergut Lucklum nordöstlich von Braunschweig erwartet die Exkursionsteilnehmer eine Vielfalt von Maßnahmen, die von einer Hecke mit gebietseigenen Gehölzen über Pappelflächen und Walnuss-Reihen reichen. Viele Teilnehmer sehen dort erstmals die im Rahmen des „Keyline-Designs“ gezielt zum Wasserrückhalt angelegten kleinen Gräben. Übernachtet wird in einem Landgasthof nach einem schönen Abend voll lebhaften Diskussionen und bereicherndem Austausch zwischen den Teilnehmenden.
Trotz Klimaveränderungen erfolgreich wirtschaften
Am nächsten Morgen wird der Betrieb „Wilmarsgärten“ südlich von Berlin besucht. Dort beeindruckt gleich zu Beginn, was Wasserrückhalt und Bäume auf einem Sandboden mit nur 10 bis 15 Bodenpunkten erreichen können. Die Fläche ist grün und wüchsig. Dass diese Fläche noch vor ein paar Jahren ein Sandhügel war, auf dem so gut wie nichts gewachsen ist, ist nicht mehr zu erkennen. Der Betrieb baut außerdem Getreide zwischen Pappelreihen an und erzielt auch hier trotz der sehr schlechten Bodenqualität gute Erträge. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Anbau von Marktgemüse. Die Flächen des Gemüseanbaus sind ein kleines Paradies mit essbaren Blüten und Gemüse, dazwischen Bäume und am Rand Hecken.
Zahlreiche Schmetterlinge profitieren von dem Farbfleck in der sonst eher kargen Landschaft. Die zahlreichen alten Sorten werden erfolgreich im nahen Berlin vermarktet.Spannend ist dann auch der nächste Halt in der mitteldeutschen Bucht nördlich von Halle a. d. Saale. Hier hat Landwirt Eicke Zschoche in Eigenregie das vom Berater erstellte Konzept umgesetzt. Manches ist gut gelungen, anderes hat Lehrgeld gekostet. Aber aus den Fehlern lässt sich lernen. Das Engagement des Landwirtes ist ungebrochen. Er ist überzeugt von der Notwendigkeit unsere Landschaft wieder mit Bäumen anzureichern und will weiter experimentieren.
Exkursion eröffnet neue Perspektiven
Auch die Rhöner Landwirtinnen und Landwirte sind von den Agroforst-Vorteilen überzeugt. Die große Frage ist, wie die Anlage der Gehölzstreifen finanziell und von den Arbeitskapazitäten her gestemmt werden. Julian Megner vom AELF Bad Neustadt a. d. Saale und Joachim Omert vom Amt für ländliche Entwicklung Unterfranken informieren dazu im Bus über aktuelle Förderprogramme und Fördermöglichkeiten. Vieles muss bei den Exkursionsteilnehmern nach zwei Tagen voller Eindrücke und Informationen jetzt erst einmal „sacken“, der eine oder andere plant im Kopf schon am eigenen Agroforstsystem, andere grübeln noch über zu lösende Herausforderungen. Einig sind sich aber alle: es war eine interessante Exkursion mit viel neuem Wissen und neuen Erfahrungen.
Biosphärenreservats-Mitarbeiterin Lisa Knur und AELF-Leiter Oliver Kröner sind sehr zufrieden mit dem Ablauf der Exkursion und dem Interesse der Teilnehmenden. Sie sind überzeugt, dass Agroforst eine Lösung für landwirtschaftliche Betriebe sein kann, um auch in der Klimakrise weiter erfolgreich zu wirtschaften und gleichzeitig viele positive Effekte für die Gesellschaft zu generieren. Sie hoffen darauf, dass sich bald auch in der Rhön die ersten Landwirtinnen und Landwirte an das Thema Agroforst heranwagen. Infos und Unterstützung zum Thema Agroforst erhalten Interessierte beim Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft e.V. (www.agroforst-info.de) und den zuständigen Ämtern für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.