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Biosphärenreservat Rhön
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„Freiluftlabore“, die Zukunft vorhersehbar machen: Kommunale Kernzonen sind Schaufenster des Klimawandels

Die Kernzonen im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön machen nur rund drei Prozent des Gebiets aus – haben aber eine enorme Bedeutung. Welche zentrale Rolle diese Flächen bei der Forschung im Biosphärenreservat und bei der Entwicklung von Strategien zur Klimawandelanpassung spielen, stand Ende September bei einer Exkursion im Fokus. Hierzu hatten die Bayerische Verwaltungsstelle des Biosphärenreservats und das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Bad Neustadt a. d. Saale Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen, Landkreise sowie aus Naturschutz und Forst nach Hammelburg eingeladen. Treffpunkt war die Kernzone Ofenthaler Berg.

Auf Einladung der Bayerischen Verwaltung des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön und des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bad Neustadt a. d. Saale tauschten sich Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen und Landkreise sowie aus Forst und Naturschutz bei einer Exkursion in der Kernzone Ofenthaler Berg über die Entwicklung der kommunalen Kernzonen aus. / Fotos: Anna-Lena Bieneck
Die Kernzone Ofenthaler Berg ist ein lichter Wald auf magerem Standort – direkt neben den Weinbergen Hammelburgs gelegen.
Mathias Pfüller (links) und Hubert Türich (beide vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bad Neustadt a. d. Saale) stellten die sogenannten „Anbaurisiko-Karten“ für den Bereich Hammelburg vor.
Dr. Tobias Birkwald (links) und sein Kollege Florian Essel (beide Bayerische Verwaltung UNESCO-Biosphärenreservat Rhön) mit einer Insekten-Falle, die im Rahmen der Kernzonen-Forschung genutzt wird.

Das Jahr 2014 markiert einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung des Biosphärenreservats. Mit der Erweiterung des Gebiets auf bayerischer Seite ging auch eine Ausweitung der Kernzonen einher: insgesamt 725 Hektar Wälder brachten zwölf Kommunen sowie die Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld in das Netz der Kernzonen ein. „Wir sind sehr dankbar, dass mit diesen kommunalen Flächen damals viele unterschiedliche Waldgebiete mit aufgenommen werden konnten“, betont Dr. Tobias Birkwald, der die Kernzonenforschung im bayerischen Teil des Biosphärenreservats koordiniert.

In den Kernzonen wird gemäß den weltweiten UNESCO-Vorgaben die Natur ohne den Einfluss menschlicher Nutzung sich selbst überlassen, sodass die natürlichen, dynamischen Abläufe im Vordergrund stehen. Arten, Lebensgemeinschaften, Ökosysteme und Landschaften unterliegen dem Prozessschutz – hier finden nur Naturerleben, Forschung, und Umweltbildung statt. Die Kernzonenwälder sind wichtige Rückzugsgebiete für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, insbesondere Totholzbewohner. Die Erfahrungen des Prozessschutzes an unterschiedlichen geologischen Standorten geben wichtige Aufschlüsse über die natürlichen Wuchs- und Zerfallsprozesse.

Der Ofenthaler Berg, ein lichter Mischwald auf magerem Muschelkalkplateau, neben den Weinbergen Hammelburgs gelegen, ist eine von 19 ausgewählten der insgesamt 57 bayerischen Kernzonen, in denen die Verwaltungsstelle seit 2016 ein umfassendes Monitoring durchführt. Neben der Entwicklung des Waldes und der Vegetation werden zum Beispiel auch Vorkommen von Insekten-, Pilz- und Vogelarten über einen längeren Zeitraum erfasst.

Veränderungen durch den Klimawandel überholten bereits die Auswirkungen des Nutzungsverzichts in den Kernzonen, erklärte Tobias Birkwald während der Exkursion. „Wärmeliebende Arten sind nicht erst auf dem Vormarsch – sie sind schon da.“ Bereits 2018 seien zum Beispiel auf den Hanglagen in der Hochrhön mediterrane Insekten-Arten gefunden worden – „das ging schneller als erwartet.“ Zahlreiche kälteliebende Arten, darunter spektakuläre Vorkommen wie das eines Eiszeitkäfers, der im vergangenen Winter gefunden wurde, aber auch einige Bewohner von Quellbereichen und Feuchtwiesen, werden in der Rhön wohl dauerhaft verschwinden.

Waldumbau, Jagd und das Problem auf zwei Rädern

Im anschließenden Austausch über den durch den Klimawandel notwendigen Waldumbau wurde deutlich, dass die Kernzonen auch für den Wirtschaftswald wichtige Erkenntnisse liefern, auch überregional. Der für den Hammelburger Stadtwald zuständige Forstbetriebsleiter Matthias Wallrapp sprach von einem „Freiluftlabor“, der für die Kommunen einen großen Schatz vor der eigenen Haustüre darstelle. Eine wichtige, längst nicht mehr neue Erkenntnis dabei: um den Anbau klimatoleranterer Baumarten – auch nicht heimischer wie Edelkastanie, Walnuss, Baumhasel, Roteiche oder Douglasie – werde man beim Aufbau zukunftsfähiger Wälder nicht herumkommen. Die Entwicklung lasse sich nicht mehr aufhalten, erklärte AELF-Behördenleiter Oliver Kröner.

Waldbesitzer könnten die Anpassung der Wälder an die sich rasch verändernden Klimabedingungen aber aktiv gestalten. Mathias Pfüller, beim AELF zuständig für Waldnaturschutzfragen, stellte in diesem Zusammenhang die „Anbaurisiko-Karten“ der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft für 32 heimische und nicht heimische Baumarten vor. Diese erlauben für jeden Wald in Bayern einen Blick in eine „wärmere Zukunft“ und sind eine wichtige Grundlage für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel.

Rege Diskussionen gab es zum Thema Jagd: Zwar halte sich der Verbiss durch Rehe an den jungen Bäumchen am Ofenthaler Berg in Grenzen – in anderen Waldgebieten sei der Reh- und Rotwildverbiss aber sehr wohl ein Problem. Dieser könne die Zusammensetzung und Struktur der zukünftigen Wälder beeinflussen und auch zu Lebensraum-Verschlechterungen führen. Matthias Wallrapp fand hierzu deutliche Worte: „Die Jagd ist die relevante Stellschraube, um zukunftsfähige Wälder aufbauen zu können.“

Weitere Themen waren die Wegesicherung, Besucherlenkung und Öffentlichkeitsarbeit. Vor allem Mountain- und E-Bikes in Schutzgebieten wurden von allen Teilnehmenden als großes Problem angesehen. Das Wegegebot werde immer wieder missachtet – ein länderübergreifendes Problem im Biosphärenreservat. Wanderer und Radfahrer suchten sich alternative Strecken durchs Unterholz. Das ist in den Kernzonen verboten und kann sogar ein Bußgeld zur Folge haben – nicht nur, weil die eigene Sicherheit gefährdet ist, sondern weil solche Störungen massive Folgen für Flora und Fauna haben können. Dies sei vielen Einheimischen und Touristen (noch) nicht bewusst oder oft auch einfach egal.

Aus dem Kreis der Teilnehmenden kam daher der Wunsch nach der weiteren Optimierung der Wander- und Radwegeinfrastruktur, zum Beispiel durch Schaffung von Alternativen wie eigens ausgewiesene Downhill-Strecken. Auch eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit könne helfen. „Viele Einheimische wissen gar nicht, dass es in ihrer Gemeinde Kernzonen gibt und was es überhaupt damit auf sich hat“, sagte Elisabeth Assmann, Zweite Bürgermeisterin von Hammelburg. Die Ausweitung des Angebots von Kernzonen-Führungen und Informationsveranstaltungen sei eine Möglichkeit. Anfragen hierzu bei der Biosphären-Verwaltung sind herzlich willkommen!

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