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Biosphärenreservat Rhön
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Es geht nicht ohne: Jagd als Maßnahme im Wiesenvogelschutz

Prädatorenmanagement als wichtige Begleitmaßnahme im Schutz bedrohter Offenland-Vogelarten: Unter diesem Titel stand Ende März eine Weiterbildungsveranstaltung, zu der das LIFE-Projekt „Rhöner Bergwiesen“, die Wildlandstiftung Bayern und der Birkwildhegering Hessische Rhön e.V. gemeinsam nach Hilders geladen hatten. Das Interesse an den Praxisvorträgen zum Einfluss von Prädatoren (Fressfeinden) auf Wiesenvögel und an der begleitenden Fallenausstellung war mit mehr als 130 Teilnehmenden aus ganz Deutschland enorm.

Mehr als 130 Teilnehmende aus ganz Deutschland waren zur Fortbildungsveranstaltung nach Hilders gekommen. Foto: Nadja Moalem
Die Vortragenden des Workhops (von links nach rechts): Hintere Reihe: Christian Hembes, Dirk Ullmann, Dr. Marcel Holy, Elmar Herget, Dr. Daniel Hoffmann, Paul Rößler, Norbert Peter. Vordere Reihe: Dr. Tobias Reiners, Torsten Kirchner, Torsten Raab, David Schmitt, Katharina Bach.
Bei zwei Podiumsdiskussionen hatten die Zuhörerinnen und Zuhörer Gelegenheit, Fragen an die Referierenden zu richten. Foto: Nadja Moalem

Nach der Begrüßung durch Torsten Raab, Leiter der Hessischen Verwaltungsstelle des UNESCO-Biosphärenreservates Rhön, unter dessen Dach das LIFE-Projekt angesiedelt ist, führte Moderator Elmar Herget, Sachgebietsleiter für Naturschutz beim Biosphärenreservat, in die Thematik ein. Er beschrieb zunächst anhand von Zeigerarten wie dem Rebhuhn und dem Kiebitz den starken Rückgang von Vogelarten des Offenlandes infolge von massiven Lebensraumveränderungen. Im Naturschutz hat sich dabei die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich der anhaltende Rückgang allein mit Verbesserungen der Lebensräume nicht stoppen lässt. Die aktive Bejagung von Prädatoren wie Fuchs, Waschbär und Marder gilt inzwischen beim Vogelschutz, zumindest in Kulturlandschaften, als unverzichtbar. Prädatorenmanagement und begleitende Fortbildungsveranstaltungen sind im EU-geförderten LIFE-Projekt daher als Pflichtaufgaben verankert.

Über den aktuellen Stand des Life Projekts, welches im Herbst 2024 seinen Abschluss findet, berichtete Projektleiterin Katharina Bach. Biosphären-Ranger David Schmitt informierte über die jagdlichen Maßnahmen und Fallensysteme, die innerhalb des LIFE-Projekts zum Schutz vor allem von wiesenbrütenden Vogelarten zum Einsatz kommen. Er betonte, wie wertvoll dabei die Beteiligung von örtlichen Jagdpächtern und Begehungsscheininhabern, der Hegegemeinschaft Ulstergrund, Hessen-Forst, dem Birkwildhegering Hessische Rhön e.V. und der Wildlandstiftung Bayern sei.

Lebensraumverbesserungen allein reichen nicht aus

Diplom-Biologe Torsten Kirchner, der seit Jahren im Auftrag der Wildlandstiftung Bayern für den Erhalt des Birkhuhns im Naturschutzgebiet Lange Rhön kämpft, gab spannende Einblicke in seine Arbeit. Trotz intensiver Bemühungen bleiben die Erfolge von populationsstützenden Maßnahmen und Wiederansiedlungsversuchen für den einst auf den Hochflächen der Rhön weit verbreiteten Vogel hinter den Erwartungen zurück. Witterungs- und evtl. auch klilmabedingt scheint das Insektenvorkommen für die Birkwildküken zum entsprechenden Zeitpunkt oft nicht ausreichend. Zudem liegt das Naturschutzgebiet mitten in einem beliebten Wanderrevier, was Störungen der sensiblen Tiere nicht vermeiden lässt. Große Bestände von Fressfeinden setzen der ohnehin geschwächten Population stark zu. Die intensive und großflächige Bejagung von Prädatoren sei daher eine Notwendigkeit.

Einen Exkurs in Sachen Artenschwund gab Dr. Daniel Hoffmann, Geschäftsführendes Mitglied der Games Conservancy Deutschland e.V. In seinem Vortrag über Niederwildkartierungen und Prädationsforschung aus verschiedenen Regionen in Deutschland und dem Vereinigten Königreich plädierte er für einen kulturlandschaftsgerecheten Naturschutz. Dieser schließt bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensräume, die auch für „Allerweltsarten“ ergriffen werden müssen, eindeutig die Bejagung von Prädatoren mit ein.

Ebenfalls aus der Praxis berichteten Dr. Marcel Holy und Revierjagdmeister Christian Hembes von der Natur- und Umweltschutzvereinigung Dümmer e.V. Die westliche Dümmerniederung in Niedersachsen ist mit ihrem artenreichen Feuchtgrünland und Niedermoorflächen ein europaweit bedeutendes Brutrevier für seltene Wiesenvögel wie Kiebitz und Uferschnepfe. Trotz umfangreicher Lebensraumverbesserungen und vereinzelter Raubwildjagd durch örtliche Jäger hat hier erst die Einstellung eines Berufsjägers im Jahr 2018 und die damit verbundene Intensivierung der Raubwildjagd die entscheidende Wende bei den Bestandsentwicklungen der Bodenbrüter gebracht.

Gesundheitliche Risiken durch invasive Arten

Über die negativen Auswirkungen invasiver Arten auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt  referierte Biologe Norbert Peter vom Wildtierforschungsprojekt ZOWIAC der Goethe-Universität Frankfurt. Invasive, gebietsfremde Arten gelten inzwischen als wesentliche Ursache für den Verlust der Biodiversität. Durch die fortschreitende Veränderung und Verlagerung von Lebensräumen steigt weltweit auch das Risiko für Infektionskrankheiten, die von Zwischenwirten auf den Menschen übertragen werden. Waschbär und Marderhund werden auf Basis virologischer und parasitologischer Studien in dieser Hinsicht als besonders kritisch eingestuft. Vor allem der Waschbär lebt inmitten der Siedlungen. Aufgrund ihrer rasanten Ausbreitung sieht der Biologe keine Alternative zu einer konsequenten Bejagung, die auch eine Sensibilisierung und Einbeziehung der Bevölkerung zum gesellschaftlich durchaus umstrittenen Thema erfordere.

Für eine offenere Kommunikation des Themas Prädatorenjagd sprach sich auch Revieroberjäger Dirk Ullmann vom Bund Bayerischer Berufsjäger aus. Aus seiner Sicht leiste die Jägerschaft durch Lebensraumverbesserungen und Eindämmung von Raubwild nachweislich einen wichtigen Beitrag zum Schutz sensibler Vogelarten. Denn nicht nur die aktive Prädation, sondern auch die passive Störung durch Prädatoren, die Altvögel ablenken und vom Nest weglocken, während andere Prädatoren die Nester räubern, sei in Gebieten mit großem Raubwilddruck ein nicht zu unterschätzendes Problem. Er betonte die Wichtigkeit einer gut abgestimmten großräumigen Zusammenarbeit zwischen allen Jagdausübenden.

Mit Zäunen vor Prädatoren schützen

Über seine Erfahrungen mit passivem Prädatorenmanagement durch das Aufstellen von Nestkörben und Schutzzäunen in Vogelschutzgebieten des vorpommerschen Küstenlandes berichtete der selbstständige Berufsjäger Paul Rößler. Aus seiner Sicht sei diese Möglichkeit der Eindämmung von Raubwild nur in Kombination mit aktivem Prädatorenmanagement sinnvoll. Bei fehlendem jagdlichen Zugriff auf die Flächen, könnten Zäune sogar zur Falle für die Tiere werden, die geschützt werden sollen: Die Zäunung ermögliche zwar den Bruterfolg, beim Verlassen werden die flüggen Küken aber oft zur leichten Beute von Prädatoren. Auch das Eindringen von Fressfeinden in die Umzäunungen sei ein immer wiederkehrendes Problem. Schutzzäune alleine eigneten sich nur für Flächen, auf denen aufgrund geografischer Lage kein aktives Prädatorenmanagement möglich sei. Aus Sicht des Arten- und Tierschutzes sei großflächiges aktives Prädatorenmanagement jedoch immer zu bevorzugen.

Zu einer anderen Einschätzung kam Dr. Tobias Reiners von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie e.V. in seinem Vortrag. Er berichtete von den großartigen Erfolgen im Naturschutzgebiet Bingenheimer Ried in der Wetterau, wo mit einem sehr aufwändigen, stationären Elektro-Schutzzaun ein Paradies für seltene Brutvögel, wie Kiebitz, Bekassine oder Spießente geschaffen wurde. Hinter dem Zaun gehen die Zahlen der Vögel, steil nach oben. Zu Beginn vor allem bei der Bevölkerung umstritten, genießt das Schutzgebiet inzwischen bundesweit Anerkennung. Gleichwohl betonte er, dass eingezäunte Schutzzonen nur eine Übergangslösung darstellen können. Die langfristige Stabilisierung der Vogelbestände kann nur durch eine Verbesserung der Lebensräume auf großer Fläche sichergestellt werden.

Mobile Fallenausstellung

Die Veranstaltung wurde von einer mobilen Fallenausstellung begleitet, in der sich die Teilnehmenden über verschiedene tierschutzkonforme Fallensysteme informieren konnten.